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Warum es sich lohnt, Erfahrung zu bewahren

Oktober 2024

Warum es sich lohnt, Erfahrung zu bewahren

Vermutlich werden Personalerinnen und Personaler in Gesprächen innerhalb der Firma oder im Privaten immer wieder darauf angesprochen: Wie kann es sein, dass in Deutschland im vierten Quartal 2023 rund 1,73 Millionen offene Stellen zu besetzen waren[1], gleichzeitig fördern Unternehmen den vorgezogenen Ruhestand älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Das ist erst einmal ein Widerspruch, der jüngst sogar verstärkt wurde. Denn die Bundesregierung plant, Anreize für einen späteren Renteneintritt zu schaffen. So soll eine Aufschubprämie Menschen motivieren, länger im Berufsleben zu bleiben.[2]

Wie passt das alles zusammen? Es ist wichtig, die Maßnahmen zu sortieren. Schließlich rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (iW) damit, dass in Deutschland bis 2035 alleine aus Alterungsgründen sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden.[3] Weshalb also nicht Boomer, Silver Worker oder Rentnerinnen und Renter (wieder) aktivieren?

Mismatch zwischen Engpassberufen und Arbeitssuchenden: Der Fach- und Arbeitskräftemangel trifft die Branchen unterschiedlich. Zu den 200 beschäftigungsstärksten Engpassberufen zählen Pflege, Kraft- und Busfahrer, Kraftfahrzeugtechniker, medizinische Fachangestellte, Berufe am Bau, in Hotel und Gastronomie, dem Metallbau und in der Kinderbetreuung. Bei den Spezialisten fallen Apotheker, Architekten oder IT-Expertinnen und Experten darunter. Weitere 157 Berufsfelder könnten sich potentiell zu Engpassberufen entwickeln.[4] Die Bundesagentur für Arbeit spricht von einem „Mismatch am Arbeitsmarkt”, denn die Stellenangebote und die Job-Wünsche der Bewerbenden sind nicht deckungsgleich. Eine Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass von den arbeitslos gemeldeten Fachkräften, Experten oder Spezialisten lediglich 26 Prozent eine Beschäftigung in einem Engpassberuf suchen.[5]

Kurzfristige vs. langfristige Strategien: Die Herausforderung besteht darin, kurzfristige betriebswirtschaftliche Interessen mit langfristigen Zielen in Einklang zu bringen und dabei die demografischen Realitäten zu berücksichtigen. Unternehmen, die den vorgezogenen Ruhestand fördern, verfolgen oft kurzfristige Ziele wie Kosteneinsparungen. Ältere Mitarbeitende haben meist höhere Gehälter, da ist es attraktiv, die Payroll zu entlasten.

Wichtig ist, dass die langfristige Planung des Unternehmens nicht darunter leidet. Statistiken der Deutschen Rentenversicherung zeigen, dass diejenigen, die im Jahr 2022 eine Rente mit Abschlag in Anspruch genommen haben, rund 29 Monate früher aus dem Berufsleben ausgeschieden sind als Rentnerinnen und Rentner ohne Abschläge.[6] Das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) macht die Rente ab 67 als entscheidenden Faktor für den Trend aus.[7]

Braindrain vs. Transformation: Klar ist, dem Arbeitsmarkt werden damit dringend benötigte Fachkräfte vorzeitig entzogen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hebt den Verlust an Wissen und Erfahrung hervor, der nicht allein durch neue „junge Köpfe“ zu ersetzen sei. Ein Weg, die Arbeit bis zur Rente attraktiv zu halten, sei, die Wochenarbeitszeit zu flexibilisieren. Es müsse zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden ausgehandelt werden, wie das jeweilige Arbeitszeitmodell aussieht: „Was wir brauchen, ist etwas mehr Vertrauen vom Staat.“[8] Die einen befürchten einen Wissensverlust, andere sehen in der Frühverrentung vielmehr eine Chance zur Modernisierung und Verjüngung. Sie nutzen entsprechende Programme als sozialverträgliche Methode zum Personalabbau und hoffen, dadurch neue Ideen und Technologien einführen zu können. Die lidl-Kohortenstudie der Universität Wuppertal erforscht den Übergang von der Arbeit in den Ruhestand. Sie zeigt, dass für ältere Mitarbeitende, die Restrukturierungen erleben, die Frühverrentung eine attraktive Alternative zur Ungewissheit im Betrieb ist. Hier sei eine ressourcenorientierte Perspektive gefordert, um Veränderungsprozesse nachhaltiger zu gestalten.[9]

Demografischer Wandel erfordert neue Ansätze: Die Bundesregierung plant, Anreize zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu schaffen. Anfang September brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das von 2028 an Menschen, die in Rente gehen könnten, das Weiterarbeiten schmackhaft machen soll. Wichtig: Es können Beschäftigungszeiten bereits ab dem 1. Januar 2025 für die Rentenaufschubprämie berücksichtigt werden Diese Prämie sieht höhere Einmalzahlungen bei verzögertem Renteneintritt vor. Dafür wird dann eine sachgrundlose Befristung vereinbart.[10] Ziel ist es, erfahrene Arbeitskräfte länger zu halten und die Rentenkassen zu entlasten.

Win-win für Unternehmen und Arbeitskräfte: Unternehmen kontern dem Fach- und Arbeitskräftemangel bereits mit eigenen Initiativen. BMW holt mit dem „Senior Expert Programm” seit einigen Jahren Fach- und Führungskräfte zeitweise zurück.  Es sei eine Win-win-Situation – sowohl für die älteren Arbeitnehmenden als auch für das Unternehmen, sagt Florian Rother, Abteilungschef bei BMW, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.[11] Eine Schreinerei wiederum verschreibt sich dem Projekt „Unternehmenswert Mensch”, bei dem sich die Chefs darum kümmern, dass es den Mitarbeitenden gut geht und so eine starke Verbundenheit aufgebaut wird. Die hält Schreiner auch über das Renteneintrittsalter hinaus. So kann eine „ressourcenorienterte Perspektive” in der Praxis aussehen.

[1] https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Fachkraeftebedarf/Generische-Publikationen/Arbeits-und-Fachkraeftemangel-trotz-Arbeitslosigkeit.pdf

[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/senioren-regierung-will-laengeres-arbeiten-mit-praemie-belohnen-a-a36e67e8-5840-46da-a1e8-9d2ee134f1b9

[3] https://www.bpb.de/mediathek/podcasts/apuz-podcast/551870/fachkraeftemangel/

[4] https://www.arbeitsagentur.de/presse/2023-26-fachkraeftemangel-nimmt-zu-zahl-der-engpassberufe-steigt-auf-200

[5] https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Grundlagen/Methodik-Qualitaet/Methodenberichte/Uebergreifend/Generische-Publikationen/Methodenbericht-Engpassanalyse-Methodische-Weiterentwicklung.html

[6] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistiken-und-Berichte/statistikpublikationen/rv_in_zeitreihen.pdf

[7] https://www.dia-vorsorge.de/gesetzliche-rente/abschlaege-bei-neuen-altersrenten-voll-im-trend/

[8] https://www.focus.de/politik/geht-an-lebensrealitaet-vorbei-arbeitgeberpraesident-fordert-fuer-2024-dringend-arbeitszeiten-und-rentenreform_id_259538922.html

[9] https://arbeit.uni-wuppertal.de/de/

[10] https://www.haufe.de/personal/entgelt/aenderungen-fuer-beschaeftigte-rentner-geplant_78_631228.html

[11] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/babyboomer-in-rente-dramatische-folgen-fuer-die-unternehmen,U1pMu6X

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